Hochsensibilität hat sich schnell zu einem Trendbegriff entwickelt, der im Alltag oft falsch verwendet wird. Wir zeigen dir, was es damit tatsächlich auf sich hat und was du dabei beachten solltest.
Was ist Hochsensibilität?
Unter Hochsensibilität versteht man in der Psychologie die Fähigkeit eines Menschen, Sinneseindrücke intensiver wahrzunehmen. Dies führen Forscher*innen darauf zurück, dass Reize im Gehirn tiefer verarbeitet werden. Wichtig ist, dass es sich bei Hochsensibilität nicht um eine Krankheit oder eine Charakterschwäche, sondern lediglich um ein Persönlichkeitsmerkmal handelt.
Den Begriff der Hochsensibilität prägte erstmals die Psychologin Elaine Aron aus Kalifornien. Laut ihren Studien ist jeder fünfte Mensch hochsensibel. Es ist jedoch umstritten, wie aussagekräftig die Studien sind. So führen Psycholog*innen Studien zu Hochsensibilität in der Regel mittels MRT-Analysen durch. Dabei sind die Ergebnisse nicht immer zuverlässig. Zudem ist es schwer, die vorliegenden Daten eindeutig zu interpretieren. Daher gibt es auch Wissenschaftler*innen, die die Existenz des Phänomens generell anzweifeln.
Einigen Forscher*innen gehen davon aus, dass hochsensible Menschen immer alle Arten von Sinneseindrücken stärker empfinden. Anderen Psycholog*innen zufolge kann sich Hochsensibilität auf ganz unterschiedliche Weise ausdrücken und muss nicht immer einheitlich auftreten. So gibt es zum Beispiel Betroffene, die nur Geräusche intensiver wahrnehmen, während andere nur Emotionen stärker verarbeiten. Daher wird Hochsensibilität oft in drei Aspekte eingeteilt: Sinneswahrnehmung, emotionale und ästhetische Sensibilität.
Woran erkenne ich Hochsensibilität?
Mittlerweile hat sich Hochsensibilität zu einem regelrechten Trendbegriff entwickelt. So findest du im Internet zahlreiche Tests, mit denen du herausfinden sollst, ob du hochsensibel bist. Sie basieren in der Regel auf keiner wissenschaftlichen Basis und geben keinesfalls ein verlässliches Ergebnis. Auch bei Ratgebern und Onlineartikeln zu diesem Thema solltest du darauf achten, dass sie tatsächlich von Expert*innen verfasst wurden und nicht nur auf individuellen Erfahrungsberichten beruhen.
Im Alltag wird Hochsensibilität zudem häufig mit Hochbegabung in Verbindung gebracht. Von Hochbegabung spricht man jedoch, wenn Menschen außergewöhnliche kognitive Fähigkeiten haben und daher überdurchschnittliche Leistungen in einem oder mehreren bestimmten Gebieten erbringen können. Daher handelt es sich tatsächlich um zwei unterschiedliche psychologische Phänomene, die nicht gleichzeitig auftreten müssen.
Da die Forschungslage um Hochsensibilität noch sehr vage ist, gibt es auch keinen allgemeinen Leitfaden, der genau festlegt, an welchen Verhaltensweisen und Gefühlen du das Phänomen erkennen kannst. Nach Elaine Arons Buch „The Highly Sensitive Person“ gibt es vier Indikatoren, die hochsensible Menschen auszeichnen:
- Verarbeitungstiefe von Informationen: Du verarbeitest (meist unbewusst) deutlich mehr Informationen als andere und bist immer dabei, diese mit vergangenen Erfahrungen zu vergleichen und in Beziehung zu setzen.
- Persönliche Reizschwelle: Wenn dein Gehirn ständig damit beschäftigt ist, eine Vielzahl von Sinneseindrücken zu verarbeiten, fühlst du dich besonders in sehr komplexen, lauten und chaotischen Situationen schneller überfordert und brauchst daher vielleicht öfter mal einen ruhigen Moment für dich.
- Emotionale Reaktivität: Du nimmst sowohl negative als auch positive Emotionen stärker wahr.
- Wahrnehmung subtiler Reize: Du nimmst oft kleine Details wahr, die anderen Menschen entgehen. Dabei kann es sich zum Beispiel um leise Geräusche, unauffällige visuelle Eindrücke oder die Gefühle deiner Mitmenschen handeln.
So gehst du mit Hochsensibilität um
Auf den ersten Blick erscheint es für hochsensible Personen hilfreich, anstrengenden und intensiven Situationen aus dem Weg zu gehen. Wenn du also besonders stark auf Geräusche reagierst und dir zum Beispiel das leise Surren deines Computers ein unwohles Gefühl gibt, kaufst du dir einfach einen anderen. Wenn du sehr lichtempfindlich bist, ziehst du dich eben in dunklere Räume zurück und wenn du stark auf Emotionen deiner Mitmenschen reagierst, vermeidest du soziale Interaktionen.
Diese Verhaltensweisen sind jedoch nicht nur nicht hilfreich, sondern können das Problem sogar verstärken. Denn gehst du diesen alltäglichen Situationen bewusst aus dem Weg, verstärkt sich deine Sensibilität und du schränkst dich in deinem Leben immer mehr ein. Deshalb geht der Professor für Klinische Psychologie Michael Witthöft zum Beispiel so vor, dass er Patient*innen bewusst ihren Ängsten aussetzt, um ihnen dabei zu helfen, die Ängste zu überwinden.
Jedoch leiden nicht alle Betroffenen unter ihren hochsensiblen Fähigkeiten. Da es sich bei Hochsensibilität nicht um ein Krankheitsbild handelt, muss oder kann es auch gar nicht „behandelt“ werden. Wie bei allen Persönlichkeitsstrukturen solltest du lernen, auf deine Bedürfnisse und Gefühle zu hören und dich im Sinne deines eigenen Wohlergehens zu verhalten. Wenn du dabei jedoch spürst, dass du dazu allein nicht in der Lage bist oder dich Ängste stark einschränken, solltest du professionelle Hilfe aufsuchen.