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Geburtsschmerz: 5 Mythen hinterfragt

Um den Geburtsschmerz ranken sich zahlreiche Mythen. So sei er zum Beispiel der schlimmste Schmerz, den es gibt und könne nur von Menschen empfunden werden. Ob diese und andere Annahmen tatsächlich der Wahrheit entsprechen, erfährst du hier.

Tokophobie ist der wissenschaftliche Begriff, der eine extreme Angst vor der Entbindung beschreibt. Schätzungen zufolge leidet laut Spektrum weltweit etwa jede siebte schwangere Person darunter. Die genauen Gründe sind vielfältig. Für einige Schwangere steht dabei auch die Frage im Raum, ob sie den Geburtsschmerz überhaupt aushalten werden. Denn genau zu diesem Schmerz kursieren im Internet und in Magazinen zahlreiche beunruhigende Aussagen und Annahmen. Besonders für Erstgebärende stellen sich deshalb viele Fragen und gehen eventuell auch mit steigender Nervosität und Angst einher.

Im folgenden Artikel erfährst du:

  • ob Geburtsschmerz tatsächlich der schlimmste Schmerz auf der Welt ist,
  • ob er einen biologischen Sinn hat,
  • ob Schmerzmittel die Geburt tatsächlich negativ beeinflussen,
  • ob auch das Kind den Schmerz wahrnimmt
  • und ob Geburtsschmerz wirklich nur bei Menschen vorkommt.

Geburtsschmerz: Der schlimmste Schmerz, den es gibt?

Dass Geburtsschmerz ein schlimmes Gefühl ist und sich mit nichts anderem vergleichen lässt, hast du vielleicht schon von einigen erfahrenen Personen in deinem Umfeld gehört. Eine wissenschaftliche Tatsache ist das jedoch nicht. Laut dem Portal gesundheitsinformation.de nimmt jede schwangere Person die Schmerzen anders wahr. Manche empfinden die Geburtswehen nur als leicht schmerzhaftes Ziehen. Andere empfinden den Geburtsschmerz als extrem belastend.

Auf dem Portal urbia schreibt ein:e Nutzer:in beispielsweise, dass sie ihre Geburtsschmerzen als die schönsten Schmerzen überhaupt wahrgenommen hätte. Zahn- und Ohrenschmerzen seien im Vergleich deutlich schlimmer gewesen. Eine andere Person berichtet, dass sie vor allem die Pressschmerzen gegen Ende der Geburt als besonders schlimm empfunden habe. Einige andere Antworten stimmen darin überein, dass die Geburtswehen erträglich waren, da sie in Wellen verlaufen. Zwischen den Schmerzwellen sei deshalb immer kurz Zeit gewesen, sich zu erholen.

Tatsächlich unterscheidet sich der Geburtsschmerz jedoch laut gesundheitsinformation.de in seiner Wirkungsweise stark von anderen Schmerzen. Denn Schmerzen bei der Geburt zeigen dir an, dass dein Körper gerade das Kind aus der Gebärmutter und der Vagina schiebt. Sie sind also auf ein konkretes Ziel ausgelegt. Andere Schmerzarten entstehen dagegen, weil wir uns verletzt haben oder krank sind. In diesen Fällen gibt es nicht unbedingt ein absehbares Ende oder Ziel des Schmerzes.

Geburtsschmerz: Hat er einen biologischen Sinn?

Ob der Geburtsschmerz aus medizinischer und biologischer Sicht tatsächlich einen Sinn erfüllt, ist laut dem Universitätsklinikum Frankfurt umstritten. So kursiert die Annahme, dass der Geburtsschmerz insbesondere ohne die Zugabe von Schmerzmitteln die Bindung zwischen Kind und Elternteil fördern würde. Schließlich hätten das Kind und der Elternteil so gemeinsam die körperlichen Schmerzen überstanden. Wissenschaftlich beweisen lässt sich dieser Mythos jedoch nicht.

Die Krankenkasse BKK Provita berichtet, der Geburtsschmerz sei ein essentieller Faktor für eine gesunde Geburt. So würde er einer Person signalisieren, dass es nun an der Zeit sei, einen sicheren Ort und Unterstützung zu suchen, um das Kind gesund gebären zu können. Da die Wehenschmerzen zudem Stress auslösen, steigere sich auch die Aufmerksamkeit und Konzentration der schwangeren Person. Nicht zuletzt führen die Schmerzen dazu, dass der Körper schmerzlindernde Hormone ausschüttet, die die Geburt fördern.

Dies bestätigt auch das Online-Magazin arborwoman. Laut der Autorin und Krankenpflegerin Rachel Piersol helfe Geburtsschmerz zudem, eine schwangere Person durch die Entbindung zu leiten. So zeige er an, welche Position am besten geeignet ist, um das Kind sicher auf die Welt zu bringen.

Schmerzmittel und Geburt: Eine gute Idee?

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, um den Geburtsschmerz einer entbindenden Person zu lindern. Laut dem Universitätsklinikum Frankfurt soll teilweise bereits ein warmes Entspannungsbad helfen. Laut dem Portal gesundheitsinformation.de sind unter anderem auch Atem- und Entspannungstechniken, Bewegung, Akupunktur, Massagen und regelmäßige Positionswechsel empfehlenswert.

Zusätzlich dazu gibt es Medikamente, die die Schmerzen lindern. Dazu gehören laut Netdoktor entkrampfende Schmerzmittel, die als Infusion oder als Zäpfchen verfügbar sind. Diese haben keinerlei Nebenwirkung auf das geborene Kind.

Opiate als Schmerzspritze können in der Eröffnungsphase der Geburt ebenfalls beruhigend und schmerzlindernd wirken. In einigen seltenen Fällen können sie jedoch zu einer unangenehmen Nebenwirkung führen. Denn ist das Medikament bei der Geburt des Kindes noch nicht ganz abgebaut, kann es den Atemantrieb des Kindes blockieren. Dann können Mediziner:innen dem Kind ein Gegenmittel spritzen, das die Atmung wieder stabilisiert. 

Bei besonders starken Geburtsschmerzen und einer langen Geburt empfehlen Mediziner:innen oft eine PDA. Dabei verabreicht ein:e Anästhesist:in der entbindenden Person über einen Katheter in regelmäßigen Abständen ein lokales Betäubungsmittel. Laut Netdoktor kann es passieren, dass es bei der schwangeren Person zu Kreislaufproblemen kommt. Auch dafür liegen jedoch Medikamente vor, die den Kreislauf wieder normalisieren können. Die Versorgung des Kindes wird bei einer PDA übrigens ebenfalls streng überwacht. Laut der Apotheken-Umschau ist zudem mittlerweile wissenschaftlich belegt, dass das Kind von einer PDA nicht beeinflusst wird.

Die Gynäkologin Dr. Ina Rühl berichtet gegenüber der Apotheken-Umschau, dass die PDA mittlerweile stark stigmatisiert ist. So haben einige Schwangere Angst, die Betäubung könne die Geburt negativ beeinflussen. Jedoch kann sie die Entbindung im Gegensatz gerade erleichtern. Schließlich kann die entbindende Person dann durch die Betäubung besser loslassen und ist weniger verkrampft. Bei einigen Vorerkrankungen ist eine PDA hingegen nicht möglich. Ob eine PDA also während der Geburt sinnvoll ist, sollte jede:r individuell mit Hebammen und medizinischem Personal absprechen. Grundsätzlich ausschließen musst du sie jedoch nicht.

Nimmt das Kind den Geburtsschmerz wahr?

Laut Daniel Surbek lautet die Antwort: Ja. Er ist Chefarzt für Geburtshilfe am Inselspital Bern und Co-Direktor der Frauenklinik. Seinen Angaben zufolge könne ein traumatisches Erlebnis bei der Geburt das Leben des Neugeborenen nachhaltig beeinflussen. Selbst Depressionen und Herzprobleme stehen eventuell mit einer schwierigen Geburt in Zusammenhang.

Surbeks Schlussfolgerungen basieren auf einer Studie, die 2021 publiziert wurde. Dabei untersuchten die Forschenden, wie Neugeborene bezüglich Stress- und Schmerzempfinden auf drei unterschiedliche Arten von Geburt reagierten: eine spontane Geburt, eine Geburt mithilfe einer Saugglocke und einen Kaiserschnitt. Dafür maßen die Wissenschaftler:innen den Cortisolwert der Kinder. Dieser war nach einem Kaiserschnitt am niedrigsten. Nach 72 Stunden war er bei Kindern noch immer deutlich erhöht, die per Saugglocke zur Welt gekommen waren.

Laut Surbek könnte eine Saugglocken-Geburt deshalb ein Risikofaktor für bestimmte Erkrankungen im Erwachsenenalter sein. Der Mediziner betont jedoch, dass es sich dabei bislang nur um eine These handelt, die noch weiter erforscht werden müsse. Zudem schneidet der Kaiserschnitt in der Studie bei den Cortisolwerten zwar gut ab, birgt jedoch andere Risiken. Personen, deren Entbindung Komplikationen beinhaltete, sollten sich deshalb nicht schuldig fühlen.

Die Pflegewissenschaftlerin sagt gegenüber dem Schweizer Online-Magazin „wirEltern“ aus, dass sie einen ganz anderen Blick auf die Studienergebnisse habe. So würden sie schlichtweg zeigen, dass sich Kinder nach drei Tagen von einer Saugglocken-Geburt erholt haben. Zudem seien die Cortisolwerte zwischen den Vergleichsgruppen gar nicht so unterschiedlich gewesen. Kurzum: Wie ein Kind Geburtsschmerz genau wahrnimmt und wie es von den Schmerzen eventuell beeinflusst wird, ist wissenschaftlich noch immer ein Mysterium.

Ist Geburtsschmerz etwas rein Menschliches?

Auch dass Geburtsschmerz nur bei Menschen vorkommt, ist ein verbreiteter Mythos. Und dieser entspricht zumindest zum Großteil der Wahrheit. Laut dem SWR haben Expert:innen zwar bereits Geburtsschmerzen bei einigen Wildtieren beobachtet. Doch so intensiv und regelmäßig kommen die Schmerzen tatsächlich nur bei der Entbindung des Menschen vor.

Dafür gibt es eine zentrale Ursache: die Evolution, wie der SWR berichtet. So habe unser aufrechter Gang zu einem schmaleren Becken und dadurch zu einem schmaleren Geburtskanal geführt. Gleichzeitig waren Menschen durch das aufrechte Gehen eher in der Lage zu jagen und damit Fleisch zu essen und sich kognitiv weiterzuentwickeln.

So hatten Menschen ihre Hände frei, um Werkzeuge herzustellen und neue motorische Fähigkeiten auszubilden. Durch diesen Umstand und die proteinreiche Ernährung vergrößerte sich im Laufe der Zeit das Gehirn. Und das musste nun aber in einem größeren, harten Schädel durch einen engeren Geburtskanal. Die Folge: größere Schmerzen bei der Geburt.